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Lüdenscheider Zeitbilder
 

1935 Kasernenbau, Militär und Aufrüstung

Mehrere Arbeitsbeschaffungsprogramme (u.a. Aktion Reinhardt 1934 0) und zahlreiche öffentliche Aufträge führten zum Abbau der Arbeitslosigkeit bis Ende 1935.

"Gerade in Lüdenscheid ist in der ersten Zeit des Nationalsozialismus die Ankurbelung der Arbeit (es wurde beispielsweise fast allwöchentlich ein in Lüdenscheid angefertigtes Abzeichen vertrieben) sehr fühlbar gewesen."1


Foto: Eine liegende, übergroße, nackte männliche Figur mit einem Lorbeerkranz auf einem Sockel. Vor dem Sockel Ehrenkränze. Rechts und links daneben Soldaten als Ehrenwache.
"Der erwachende Jüngling": Ehrenwache

 

Trotz der schlechten Wirtschaftslage wurde durch Spenden und öffentliche Mittel am 17. März 1935 "Der erwachende Jüngling" als Denkmal für die gestorbenen Lüdenscheider Soldaten des 1. Weltkriegs an der Parkstraße feierlich eingeweiht. Ursprünglich sollte ein gestürzter oder sterbender junger Mann dargestellt werden.
Aber das national(sozial)istische Denken der Militärvereine und vieler führender Lüdenscheider veranlassten den Künstler Willy Meller dazu, den fast sieben Meter großen Männerakt so zu gestalten, dass von ihm auf die neue Tatkraft hingewiesen wurde, die sich besonders in der erhobenen Faust zeigte. Die Ansprachen zur Einweihung spiegelten den erwachenden militärischen Kampfgeist ("Deutschland erwache!") am Tage nach der Verkündigung des Wehrmachtgesetzes, auf dessen Grundlage die allgemeine Wehrpflicht eingeführt und der Friedensvertrag von Versailles gebrochen wurde. Der Künstler fand Zustimmung in Berlin, wo er 1936 auf dem Olympiafeld für die olympischen Spiele Kunstwerke schuf und ebenfalls in zwei Ordensburgen der SS, ohne sich nach dem Krieg von der Kampfesideologie seiner NS-Kunstwerke zu distanzieren.
Wie Lüdenscheid zur Garnisonsstadt wurde, berichtete der damalige Oberbürgermeister Dr. Ludwig Schneider (Amtszeit 1931-1935):

"Besonders erwähnen möchte ich jedoch, dass es bei den Lüdenscheider Geländeverhältnissen ausserordentlich schwierig war, die örtlichen Voraussetzungen für die Bereitwilligkeit des Luftfahrt- und Kriegsministeriums zu schaffen, nach Lüdenscheid Militär zu legen. Dies wurde bei meinen seinerzeitigen Verhandlungen immer wieder abgelehnt. .. Schliesslich habe ich von Pg. Hergenrath grössere Fotos mit dem Auftrag anfertigen lassen, die Bergstadt möglichst nicht bergig und das von mir für Kasernen, Schiessstände und Exerzierplätze vorgeschlagene Gelände ziemlich eben erscheinen zu lassen. Mit diesen Aufnahmen habe ich dann schliesslich die zuständigen Herren in Luftfahrt- und Kriegsministerium überzeugt, dass es doch möglich wäre, in Lüdenscheid Kasernen zu bauen, Schiessstände und Exerzierplätze anzulegen.
...
Sodann gestatte ich mir, auch auf das Freibad hinzuweisen, das wir seinerzeit aus kleinsten Anfängen heraus nach und nach wohl zu dem schönsten Freibad Westfalens entwickelt haben.
...
Auf dem Gebiete des Schulwesens ist die Umgestaltung der Handelsschule zur Handelsfachschule mit zweijährigem Lehrgang und der Berechtigung zur Verleihung der mittleren Reife zu erwähnen. Die kommunalpolitische Arbeit wurde bis zum Jahre 1933 stark gehemmt und teilweise vollkommen lahmgelegt durch die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit, die grosse Erwerbslosigkeit und den Mangel an erforderlichen Mitteln, um Pläne in die Tat umzusetzen. Wie die politische Spannung damals war, zeigt auch die Tatsache, dass mir in den Jahren 1931/32 die Kommunisten zweimal die Fensterscheiben meiner Wohnung eingeworfen haben, einmal blieb von der ganzen Fassade keine Scheibe mehr ganz."2

Zusammenfassend muss man feststellen:
Dr. Schneider war 1924 als Mitglied der DDP für die zivile Demokratie eingetreten, beugte sich nun unter der Last der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krisen, konnte seinen demokratischen Polizeichef Rüdiger nicht vor der Entlassung schützen, wurde im Mai 1933 Mitglied der NSDAP und bemühte sich aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen darum, dass die Nationalsozialisten und die Wehrmacht in Lüdenscheid drei Kasernen errichteten, die der Stadt viele ökonomische Vorteile brachten. Der Bau der Kasernen und die vermehrten Rüstungsaufträge führten bis zum Kriegsbeginn zur Vollbeschäftigung. Die drei Kasernen mit ihrer Infrastruktur war einerseits ab 1935 Konjunkturprogramm gegen die langwierige Weltwirtschaftskrise seit 1929, andererseits Aufrüstungsprogramm für den 2. Weltkrieg.

Schon 1927 hatte die Reichswehr als Reaktion auf die Versailler Verträge insgeheim Rüstungspläne für einen Krieg aufgestellt.

"Die führenden Köpfe der Reichswehr, im besonderen Seeckt und Schleicher, entwickelten eine überaus ehrgeizige Aktivität, die sich auch in der Außenpolitik bemerkbar machte und am Ende der Republik zu dem Anspruch steigerte, im 'politischen Leben Deutschlands dürfe kein Baustein bewegt' werden, ohne dass das 'Wort der Reichswehr' ausschlaggebend in die Waagschale geworfen werde."3

Das wurde ab 1933 in Verbindung mit der NSDAP verwirklicht, die gemeinsam die Voraussetzungen für die Kriegsführung des 2. Weltkriegs schufen.

Ab 1932 gelang es den Unternehmen sehr langsam, die Beziehungen zwischen Löhnen, Sozialabgaben und Erträgen zugunsten der letzten so zu verbessern, dass wieder mit Gewinnen gearbeitet werden konnte. Hierfür mussten die Arbeitnehmer längere Arbeitszeiten und geringe Löhne hinnehmen, wodurch die Betriebskosten so gesenkt werden konnten, dass deutsche Unternehmen auf dem Markt konkurrieren konnten.

"Das eigentliche Problem der Krise ist in Deutschland ihre Vorgeschichte, aus der gravierende ökonomische Zwangslagen folgten. Die Vorgeschichte zeigt ein auf Dauer nicht funktionsfähiges wirtschaftliches System in einem kaum noch funktionsfähigen politischen System, die schlimmste aller denkbaren Konstellationen. Wir können diese Tragödie nur studieren und sollten uns allzu anmaßender Kritik enthalten."4

Mit der Zusammenfassung weist der bekannte Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt darauf hin, dass ein sozialwirtschaftlich und politischer gerechter Ausgleich nicht gefunden werden konnte. Aus Gründen von Gruppenegoismen, Respektlosigkeit und Intoleranz gegenüber der Meinung anderer wurden die Konflikte immer gewalttätiger ausgetragen und politische Straftaten zu Alltagverbrechen. Dagegen setzten die Nationalsozialisten ihr Programm von einem einigen starken deutschen Volk, das auf Demokratie und Meinungsfreiheit verzichtet, um einen starken Staat - das 3. Reich - zu schaffen. Dem folgte die Mehrheit. Offensichtlich waren die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Folgen des Ersten Weltkriegs so destruktiv, dass sie zur Inflations- und Wirtschaftskrise 1923, zur Weltwirtschaftskrise 1929, zum Zusammenbruch der Demokratie ab 1930 und zur nationalsozialistischen Diktatur ab 1933 führten.5 Besser als den meisten anderen Staaten gelang der nationalsozialistischen Politik in Deutschland der wirtschaftliche Wiederaufstieg. Er wurde in der Höhe von 15 Mrd. RM mit verdeckten Schuldverschreibungen - Mefo-Wechseln u.a. - für die Rüstungsindustrie finanziert, wovon die hiesigen Bauunternehmer, die metallverarbeitenden Firmen, die Stadt und die Bevölkerung zunächst profitierten. Damit mündete die deutsche Politik zur Überwindung der der Weltwirtschaftkrise (1935 betrug der Welthandel nur noch ein Drittel von 1929) unmittelbar in die Vorbereitung des 2. Weltkriegs. Widerstände wurden ab 1933 durch die Enteignung und Verfolgung von Gewerkschaftlern, Genossenschaften, politischen Gegnern, jüdischen Bürgern u.a. auch in Lüdenscheid gebrochen.

Nach neun Standorten von Einrichtungen des Militärs und der Rüstungswirtschaft ist der Überblick für Lüdenscheid gegliedert.
Ähnlich wie in Menden, Iserlohn, Hemer u.a. wurden hier Kasernen gebaut. Am 9. Juli 1935 - drei Monate nach der Verkündung der allgemeinen Wehrpflicht und der Einweihung des monumentalen Ehrenmals an der Parkstr. (16./17.März) - kam der kommandierende General im Wehrkreis VI (Sitz: Münster, Region Nordwestdeutschland bis Eifel) General von Kluge nach Lüdenscheid, um mit der Kommunalverwaltung die Stationierung von Truppen abzusprechen. Am 15. Oktober 1935 zog die Panzerabwehr-Abteilung 40 in die geschmückte Stadt. Oberbürgermeister Dr. Schneider sprach zu den Soldaten und der Bevölkerung auf dem damaligen Adolf-Hitler-Platz (heute: Rathausplatz):

"Wenn wir rückschauend die Geschehnisse der Stadt Lüdenscheid betrachten, dann finden wir in der 1000jährigen Entwicklung unserer Stadt viele bedeutsame Ereignisse. Aber alle stehen sie zurück hinter der Bedeutung des heutigen Tages, hinter dem 15. Oktober 1935. Lüdenscheid wird mit dem heutigen Tage Garnisonstadt und der 15. Oktober des Jahres 1935 wird für alle zukünftigen Zeiten in der Entwicklung unserer Stadt der markanteste Markstein sein."

Walter Borlinghaus (NSDAP-Kreisleiter Altena-Lüdenscheid) folgte mit seiner Rede, in der er die Bedeutung der nationalsozialistischen Staatspartei hervorhob:

"Ihr war die Aufgabe gestellt zur Vernichtung überlebter Weltanschauungen, des 'Liberalismus' und des 'Marxismus' und der Erziehung eines ganzen Volkes zu einer neuen, zur nationalsozialistischen Weltanschauung. So wie die Partei auf allen Gebieten das öffentliche Leben beeinflusst, als der politische Träger des Staates die Erziehung zur Volksgemeinschaft in ihre Hand genommen hat, so steht die Wehrmacht als Mitträgerin des Staates neben ihr. Sie hat die große und heilige Aufgabe, das Werk des Nationalsozialismus zu schützen. Sie ist Trägerein des deutschen Gewissens, der deutschen Ehre und der Wiederherstellung der deutschen Freiheit."6

Damit war der Bruch des Friedensvertrags von Versailles gemeint, der durch die Einführung der Wehrpflicht und durch die rasche Aufrüstung in Deutschland verwirklicht wurde.

Foto: Parade der Wehrmacht durch die Knapper Str.. Im Hintergrund die Werbung des jüdischen Bekleidungsgeschäftes Jul. Ripp.
"Parade der Wehrmacht durch die Knapper Str."

 

"Nach der Parade setzen sich Abordnungen der SA, die marschfähigen Mitglieder der NS-Kriegsopferversorgung sowie Vertreter der einzelnen Waffengattungen der Kyffhäuserbundes in Bewegung, um unter Führung des Magistratsrats zur Kranzniederlegung nach dem Ehrenmal zu marschieren. In einer tiefempfundenen Ansprache führte der Magistratsrat Zuncke hier u.a. folgendes aus: Der heutige Tag der Wehrfreiheit in Lüdenscheid (...) wird immer in der Geschichte unserer Heimatstadt eingroßer Tag der Erinnerung sein. In diesem dritten Jahr des dritten Reiches hat der Führer dem deutschen Volke die Wehrfreiheit aus eigener Macht und Entscheidung zurückgegeben und die Grundlage gelegt für eine neue große deutsche Armee. Heute - knapp ein halbes Jahr nach der Verkündung der Wehrfreiheit - ist auch unsere Heimatstadt an der Grenze der neutralen Zone im Westen des Reiches ein Standort der Wehrmacht geworden. Stolz und Freude erfüllen uns alle, dass nun unsere Stadt an der Wiederaufrichtung und Erhaltung der neuen Wehrmacht unmittelbar helfen und mitwirken darf."(17.5.1935)7

Für die Stationierung der Soldaten wurden die Berufsschule geräumt und zahlreiche andere Gebäude vom Militär übernommen.
Ca. 20 Kasernengebäude für Soldaten und ca. 20 Hallen für verschiedene Waffentypen wurden innerhalb von drei Jahren errichtet. Hinzu kamen Straßen und Versorgungsleitungen. Ca. Tausend Menschen fanden hier Arbeit und Brot, bevor sie zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Stadt, Amt und viele Bauern mussten ca. 300 ha für die Kasernen, das Versorgungslager Wefelshohl und das Truppenübungsgebiet Stilleking/ Spielwigge dem Militär verkaufen. Damals betrug die Grundfläche der gesamten Stadt 974 ha. Zu den ca. 36 000 Einwohnern kamen vor dem Krieg ca. 3 000 Soldaten und Mitglieder der Militärverwaltung. Es gab bis heute in der Stadtgeschichte kein größeres Bauprojekt als die Errichtung der drei Kasernen in ca. drei Jahren.

In die Zeit der provisorischen Unterkunft und der Errichtung der Kasernen in Lüdenscheid fiel am 7.März 1936 die Besetzung des neutralen Rheinlands durch mehrere deutsche Bataillione.

1. Kaserne Baukloh

Zum Richtfest am 12.6.1936 kamen 1.700 Personen. Am 19.3.1937 zogen die Soldaten ein. Markant war am Eingang ein hoher Pfeiler mit einem eisernen Kreuz aus Stein. Hier war das 1. Bataillon des Infanterieregiments 60 stationiert. Es gehörte zur 16.Division, die im Zweiten Weltkrieg zunächst an der West-, dann an der Ost- und zum Schluss wieder an der Westfront eingesetzt war und große Verlust hinnehmen musste. Lokaler Kommandant war bis 1939 Oberst von Basse und dann Oberstleutnant Zeitzler, der im Krieg Generaloberst des Heeres wurde. In der Baukloh-Kaserne wurden während des Krieges immer mehr schwer kranke deutsche Soldaten und ab dem Kriegsende viele hundert ehemalige russische Kriegsgefangene des Stalags Hemer gepflegt, von denen mehr als 200 hier starben und namenlos in Massengräbern des evangelischen und katholischen Friedhofs liegen. Wegen des US-Befehls, dass kein alliierter Soldat in deutschem Boden liegen dürfe, wurden in der Zeit des US-Kommandos in Lüdenscheid bis zu Beginn des Junis 1945 die Verstorbenen in Einzelgräbern auf einen niederländischen Soldatenfriedhof gebracht. Heute liegt ein Teil der in Lüdenscheid verstorbenen russischen Soldaten in dem niederländischen Ehrenhain von Amersfoort.

2. Flak-Kaserne Buckesfeld

Militär und Stadt feierten am 7.Oktober 1936 das Richtfest. Merkmale waren die Skulptur "Der Bogenschütze" von Georg Kolbe, "Der Hirsch" von Harry Heermann Christlieb (Berlin)vor dem Offiziercasino und der Flakturm, der ca. 60 Jahre lang zu den Wahrzeichen der Stadt zählte. Die I.Abteilung des Flak-Regiments 14 aus Iserlohn war hier stationiert. Im April 1945 wurden hier drei angeblich Fahnenflüchtige exekutiert und anschließend zur Abschreckung auf dem Adolf Hitler Platz ausgestellt. Nach dem Krieg mussten hier die ehemaligen Zwangsarbeiter zusammenkommen, weil sie von hier aus in ihre Heimatländer gebracht wurden.

3. Kaserne Hellersen

Sie wurde als letzte Kaserne fertiggestellt und diente in der zweiten Kriegshälfte als Lazarett und bis heute als Kreiskrankenhaus.

4. Standortverwaltung und Magazin Wefelshohl

Nachdem die Konsum- und Einkaufsgenossenschaft Einigkeit in Lüdenscheid aufgelöst war, nutzte die Standortverwaltung zunächst das Gebäude Schützenstr. 4b. Rasch errichtet sie am Wefelshohl fünf Gebäude, die zum Teil als Magazine dienten. Am Ende des Krieges wurden die Vorräte geplündert.

5. Der Standortübungsplatz Stilleking/Spielwigge

Die Soldaten des Infanterieregiments nutzten ihn für das Kampftraining und Gefechtsübungen im Gelände. Auch die Flieger-HJ übte hier. Im benachbarten Spielwigge standen ein Munitionslager und eine Schießanlage, in der trainiert wurde.

6. Heerwiese

Hier übten die Flak-Soldaten der Kaserne Buckesfeld.

7. Offizierscasinos

Am Baukloh und am Buckefeld gab es für die Flak- und die Infanterie-Offiziere jeweils ein Casino. Gemeinsam konnten sie das Casino in der unteren Breslauer Str. (damals Siegesstr.) nutzen: Villa Basse.

8. Die Heerestandortverwaltung war in der Freiherr-vom-Stein Str. 16.

9. Das Rüstungskommando Lüdenscheid ...

...war in der ehemaligen Villa Noelle, Staberger Str. 5.8
Es zählte zu den ca. 40 Rüstungskommandos in Deutschland und erstreckte sich zwischen Soest und Siegen. Fast alle Kriegsartikel wurden in der Region produziert, besonders Milliarden von Geschosshülsen, die von den Lüdenscheidern Näpfchen genannt wurden. Es ist nicht bekannt, wie viele Soldaten aus Lüdenscheid in den Krieg zogen oder ziehen mussten. Nach unterschiedlichen Schätzungen waren es aus der Stadt ca. 8000, von denen ca. 1.900 ums Leben kamen. Die Zahl der toten Soldaten aus dem Amt Lüdenscheid beträgt ca. 800, die Gesamtzahl der Gefallenen also ca. 2.700. Leider gibt es bis heute keine offiziellen Listen von Stadt und Amt Lüdenscheid.9 So klingt auch das allgemeine Versprechen, ihrer zu gedenken, nicht ganz überzeugend. Allgemeines Gedenken verdeckt oft mehr, als dass es erklärt und aufdeckt.

Ab 1935 stand in Lüdenscheid das gesamte gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Leben im Dienst der Aufrüstung und der Kriegsvorbereitung. Dazu wurden auch die Kirchen in den Dienst des Militärs gestellt. Ihm stand ab 1936 von Montagfrüh bis Sonntagmittag vertragsmäßig die Nutzung z.B. der Kirche St. Joseph und Medardus zu. Vertraglich verfügte die zivile Kirchengemeinde nur am Sonntagnachmittag und - abend darüber.
Das Militärrecht hatte auch nach Kriegsende bis 1955 seine Gültigkeit. Wenn die Soldaten der belgischen Besatzung auf dem Kirchplatz Gewehrsalven nach dem Hochamt abschossen, nutzten sie altes Militärrecht, das seit 1936 gültig war.

 

 


0 Es gab mehrere "Aktionen Reinhard": 1934 war sie die wichtigste Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. 1942 war es die Deportation von mehr als einer Million Juden in die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka.

1 Sta Münster Hag Rück 13569 Bd. 1 Bl. 287

2 Stadtarchiv Lüd B 47 032

3 H.-A.Jacobson: Von der Strategie der Gewalt zur Politik der Friedenssicherung, Düsseldorf 1977, S.72 f

4 Knut Borchardt: Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Wirtschaftskrise, in: M. Stürmer: Die Weimarer Republik, Frankfurt 3. Aufl. 1993, S. 318-339

5 Gerold Ambrosius: Wirtschaftsraum Europa, Frankfurt 1996, S. 70 ff

6 LGA 16.10.1935: Chronik des märkischen Sauerlandes

7 vgl. 2: Stadtarchiv Lüd B 47 032

8 Walter Hostert: Lüdenscheid als Garnisonstadt, in: Der Reidemeister Nr. 128, S. 1015

9 Bündnis für Toleranz, Gesellschaft für christl.-jüd. Zusammenarbeit Hagen-Lüdenscheid, Friedensgruppe: Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus, 2. Aufl. 2007; unvollständig

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1936 Die Leitkultur der völkischen Stärke durch Gehorsam und Unterdrückung

1. Unterdrückung

Der "nationalsozialistische Volksgeist" drang gleichzeitig mit den Gewalttaten der SA und SS gegen Kommunisten, Kritiker und Juden 1933/34 in alle Lebensbereiche ein. Legalistisches Denken und neue Gesetze der Nationalsozialisten ließen auch die Gerichte immer mehr in den Dienst der nationalsozialistischen Macht treten. So stieg die Zahl der Gerichtshäftlinge von 63 000 im Jahre 1932 auf 196 700 im Jahr 1944. Die Zahl der Inhaftierten von Gestapo und SS in den Konzentrationslagern stieg von 3000 im Jahre 1934 auf 714 211 im Jahr 1945.1

1.1. SPD

Im März 1936 führte der Generalstaatsanwalt von Hamm in Werl den politischen Prozess gegen ...

Grafik: SPD-Logo







 

1. Erwin Welke,
2. Wilhelm Stute,
3. Wilhelm Dröscheln,
4. Karl Cordt,
5. Emil Wolff,
6. Alfred Saure,
7. Erwin Bracht,
8. Wilhelm Markus,
9. Wilhelm vom Hofe,
10. Friedrich Wappler,
11. Walter Glörfeld,
12. Hugo Schlitt,
13. Erich Höller,
14. Werner Euler,
15. Alfred Wehnau,
16. Friedrich Eberhardt,
17. Friedrich Brinkmann.

Grafik: Altes Logo der SPD
Logo der SPD in den 1930er Jahren
(Quelle: Wikimedia-Commons
©: PD: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:SPD_old.JPG)






 

Sie waren Sozialdemokraten aus Lüdenscheid, die Flugschriften bezogen, die im Ausland gedruckt wurden. In der Brotfabrik 'Germania' (Duisburg-Hamborn) wurde ab 1934 ein Widerstandskreis aus überwiegend Sozialdemokraten aufgebaut. Die Brotfahrer erhielten Zeitschriften z.T. von den Schiffern und Kurieren aus dem Ausland (meistens aus den Niederlanden) und brachten versteckt die Zeitungen "Sozialistische Aktion" und "Neuer Vorwärts" zu 16 Lesezirkeln zwischen Gelsenkirchen, Krefeld, Aachen und Lüdenscheid. Hier hatte die Gestapo im Mai 1935 bei dem sozialdemokratischen Händler Wilhelm Woeste 200 Exemplare der "Sozialistischen Aktion" gefunden und die Spur zur Germania-Fabrik. In Lüdenscheid kamen die Sendungen meistens zunächst in das Lebensmittelgeschäft Woeste, Schützenstr. 2 und wurden von dort weiter verteilt, bis alles im Frühjahr 1935 aufgedeckt und die Beteiligten wegen der Verbreitung und des Lesens illegaler Schriften verhaftet wurden.

Welke wurde zu 5 Jahren Zuchthaus,
Stute zu 3 Jahren u. 9 Monaten Zuchthaus,
Eberhardt zu 2 Jahren u. 9 Monaten Zuchthaus,
Glörfeld, Euler, Wehnau zu je 21 Monaten Zuchthaus,
Saure, Bracht zu je 21 Monaten Gefängnis und
Cordt, Markus, Schlitt zu je 19 Monaten Gefängnis verurteilt.

Erwin Welke wurden für 5 Jahre die bürgerlichen Rechte aberkannt.

1.2. KPD

Im Mai 1936 wurde ein ähnliches Gerichtsverfahren gegen 44 Kommunisten aus Lüdenscheid und Brügge durchgeführt, die ebenfalls 1935 verhaftet worden waren. Deren Strafen fielen aus ideologischen Gründen und im Gegensatz zur Rechtstaatlichkeit viel schärfer aus, obwohl auch sie nur wegen des Besitzes oder der Weitergabe von illegalen Schriften angeklagt waren.

Grafik: Altes Logo der KPD: Roter Stern, gelb umrandet, darin überkreuzen sich ein gelber Hammer und eine gelbe Sichel.

 

 1. Johann Kolodziej/Mechaniker - 10 Jahre,
 2. Werner Raulf/Installateur - 8 Jahre Zuchthaus,
 3. Walter Caspary jun./Werkzeugschlosser - 7 Jahre 5 Monate Zuchthaus,
 4. Wilhelm Burbach/Arbeiter - 6 Jahre,
 5. Adolf Schwarz/Schleifer - 5 Jahre 6 Monate,
 6. Rudolf Hymmen/ Werkzeugschlosser - 5 Jahre,
 7. Hermann Textor/ Kupferschmied - 5 Jahre,
 8. Ernst Wüllrich/Arbeiter - 4 Jahre 9 Monate,
 9. Theodor Schulze/Maler - 4 Jahre 6 Monate,
10. Alfred Wicker/Arbeiter - 4 Jahre 6 Monate,
11. Woisyk - 4 Jahre 6 Monate,
12. Albert Petig/Kaufmann - 4 Jahre 6 Monate,
13. Hugo Plate/Arbeiter - 4 Jahre 3 Monate,
14. Robert Dittmann/Maurer - 4 Jahre 3 Monate,
15. Ernst Ramm/Schlosser - 4 Jahre - 3 Monate,
16. Alfred Eichhoff/ Arbeiter - 3 Jahre 9 Monate,
17. Fritz Grigat/Bauarbeiter - 3 Jahre 9 Monate,
18. Heinrich Muth/Polsterer - 3 Jahre 6 Monate,
19. Walter Welscheholdt/ Packer - 3 Jahre 6 Monate,
20. Eugen Schriever/Fabrikarbeiter - 3 Jahre 6 Monate,
21. Friedrich Söhnchen/Dreher - 3 Jahre 6 Monate,
22. Gronwald - 3 Jahre 6 Monate,
23. Hugo Kuhbier/Bäcker - 3 Jahre 6 Monate,
24. Willi Eichhoff - 3 Jahre 6 Monate,
25. August Runde/Arbeiter - 3 Jahre 6 Monate,
26. Ernst Thomer/Frisör - 3 Jahre 6 Monate,
27. Ewald Deiss/Maurer - 3 Jahre 6 Monate,
28. Adolf Kramer/Schleifer - 3 Jahre 3 Monate,
29. Paul Lück/Arbeiter - 3 Jahre 3 Monate,
30. Fritz Sturm/Arbeiter - 3 Jahre 2 Monate,
31. Oskar Schneider/Arbeiter - 2 Jahre 9 Monate,
32. Iderhoff - 2 Jahre 2 Monate,
33. Theodor Schmidt/Arbeiter - 2 Jahre 8 Monate,
34. Hermann Massalski/Frisör - 2 Jahre 6 Monate (am 13.4.1945 in Lüd. ermordet),
35. Hermann Theis/Maurer - 2 Jahre 6 Monate,
36. Adolf Stahl/Arbeiter - 2 Jahre 3 Monate,
37. Walter Eichhoff /Packer - 1 Jahr 8 Monate,
38. Robert Eichhoff/Invalide - 2 Jahre,
39. Turck - 1 Jahr 9 Monate,
40. Otto Bregenstroth/Schmied - 1 Jahr 6 Monate,
41. Lohmann - 1 Jahr,
42. Lück - 10 Monate,
43. Werner Kowalski (in Frankreich am 1.7.1943 von der Gestapo erschossen) und
44. Kurt Junghans hatten sich durch Flucht der Anklage entzogen.

Mehrere Dutzend Lüdenscheider Kommunisten waren schon ab Februar 1933 inhaftiert und manche Ende März in das KZ Lippstadt-Benninghausen deportiert worden. Die meisten kamen von dort in die Emslandlager. - Nach den statistischen Angaben der Stadtverwaltung in ihren Jahresberichten verdoppelte sich nach 1933 die Zahl der Inhaftierungen. D.h. es wurden durchschnittlich ca. 120 Lüdenscheider pro Jahr zusätzlich verhaftet. Damit ergibt sich die Zahl von gut 1 500 Inhaftierungen aus politischen Gründen für die Zeit des Nationalsozialismus. Viele Verfolgte der Inhaftierungen wurden mehrfach verhaftet. Deshalb sollte man die Zahl halbieren. Von den wahrscheinlich 700-800 politischen Häftlingen in Lüdenscheid waren mehr als hundert - geschätzt 1/7 bis 1/5 ( 15% -20%) - Kommunisten. 10 wurden durch Erschießen und Sondereinsätze ums Leben gebracht.

"Herr Schulze war nach seinen Angaben von 1933 ab insgesamt 6 1/2 Jahre aus politischen Gründen in Haft im Zuchthaus, Straflager und K.Z. Er wurde mehrfach während seiner Haft in Dortmund und im Börgermoor misshandelt. In den Lagern Bürgermoor, Rheda und Aschendorf litt er besonders in den Wintermonaten 1937-1938 unter schlechter Unterbringung, Ernährung sowie Nässe und Kälte. Er war infolgedessen stark erschöpft und hatte Schmerzen in verschiedenen Stellen des Körpers und liess insbesondere mit seiner Nervenkraft erheblich nach. Nach seiner Entlassung war er ebenfalls aus politischen Gründen nicht in der Lage, sich behandeln oder ausheilen zu lassen. 1941 musste er sich die Zähne ziehen lassen, da sie infolge der Misshandlungen und der schlechten Ernährungsverhältnisse in der Haft schadhaft geworden waren."

Herr Schulze war Malermeister und Mitglied der KPD. Nach Kriegsende war er so geschwächt und krank, dass er kaum noch arbeiten konnte.

1.3.Denunziantentum

Am 18.7.1935 schickte der Oberbürgermeister dem langjährigen Werksmeister der städtischen Gas- und Wasserwerke folgendes Schreiben:

Entschuldigung ...
Hier fehlt noch ein aussagekräftiges Foto oder Grafik. Wir sind noch auf der Suche...

 

"Gelegentlich einer Unterhaltung am 17. Juni 1935 mit den städtischen Angestellten K. B. und W. S. haben sie Kritik an Massnahmen der Reichsregierung geübt und hierbei gesagt: 'Es wird nicht lange dauern mit der Regierung.' ... Es kann der Stadt Lüdenscheid nicht zugemutet werden, mit einem Angestellten das Dienstverhältnis aufrecht zu erhalten, der eine solche Auffassung von der Lebensdauer der Regierung hat. Die wiedergegebene Äusserung lässt eine staatsfeindliche Einstellung schliessen und stellt einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung des bestehenden Dienstverhältnisses dar. Ich kündige deshalb das mit Ihnen bestehende Dienstverhältnis auf Grund des § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches mit sofortiger Wirkung und entlasse Sie aus städtischen Diensten."2
" Hugo Wolff ist am 20.9.1935 verstorben. Nach der ärztlichen Bescheinigung des Dr. Thomas in Lüdenscheid vom 18.7.53 ist der Tod des W. auf die Aufregung infolge der fristlosen Entlassung zurückzuführen."3

1.4. Lüdenscheider Bibelforscher

Hugo Piene ...

"...gehört seit 1932 zur IBV (Internationalen Bibelforscher Vereinigung): Vor dem Verbot hat er die Versammlungen besucht, sowie Bücher und Broschüren der IBV zu seiner Schulung studiert. Eine Propagandatätigkeit hat er nach seinen Angaben nicht ausgeübt. Sich auch nicht der Taufe im Sinne der IBV unterzogen. Durch Urteil des Schöffengerichts Hagen vom 9.Oktober 1934 ist der Angeschuldigte mit einer Geldstrafe von 100 RM belegt worden, weil er im August 1934 an einer verbotenen Bibelstunde teilgenommen hatte."
"Funke hat von 1931 bis zum Verbot das "Goldene Zeitalter" bezogen. Dagegen hat er nach seinen angaben nicht die öffentlichen Versammlungen besucht, keine Missionstätigkeit ausgeübt und auch nicht die Taufe empfangen. Der Angeschuldigte ist geständig, in der bei Piene geschilderten Art von diesem von Mitte 1936 bis Ende 1937 regelmäßig den illegalen "Wachtturm" bezogen, ihn bezahlt, gelesen und dann verbrannt zu haben."

Treschanke:

"Der Angeschuldigte ist seit 1932 Bibelforscher und noch vor dem Verbot getauft worden. Bis zum Verbot besuchte er einige Versammlungen. Missionstätigkeit hat er nach seinen Angaben nicht ausgeübt.4"

Auch Frau Selma Piene war 6 Tage inhaftiert.

2. Ideologische Prägung der Jugend

Am 19.04.1936, als Geschenk zu Hitlers Geburtstag am 20.04., konnte erfolgreich gemeldet werden, daß der Jahrgang 1926 zu 90 Prozent aufgenommen worden war. Um eine totale Erfassung der Jugend zu erreichen, wurde mit dem "Gesetz über die Hitlerjugend" von 1936 und den zwei Durchführungsverordnungen von 1939 die Mitgliedschaft in einer Organisation der Hitlerjugend Pflicht.

Foto:
Aufmarsch des "Bundes Deutscher Mädel (BDM)" auf der Knapperstr. zum Sternplatz im Juni 1933.
Anlass ist das Sonnenwendfest mit dem die Bedeutung der germanischen Kultur gefeiert wurde;
zu ihr wurden gezählt:
- Gehorsam,
- Unfiformität,
- Stärke,
- Stolz,
- Tatkraft u.a.

 

Der Eintritt in die Hitlerjugend markierte den Beginn einer Erziehung des Einzelnen zum Nationalsozialisten. Intensive und umfassende Schulungsmaßnahmen wurden von den Nationalsozialisten als wichtige Grundvoraussetzung für das Funktionieren des neuen Staates gesehen, wie ein Zitat von Adolf Hitler zur Erziehung der Jugend deutlich macht:

"Diese Jugend lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort oft zum erstenmal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitler-Jugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alles mit einem Symbol, dem deutschen Spaten. Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewußtsein oder Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre, und wenn sie nach zwei oder drei Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter, und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben ... .5"

So wetteiferten auch die Schulen in Lüdenscheid darum, dass mehr als 90 % ihrer Schüler Mitglieder der HJ sein sollten. Am 3. Februar 1936 meldete der Lüdenscheider Generalanzeiger:

"HJ-Fahne über der Ostschule - Die Ostschule hat wohl als erste Schule im weiteren Umkreis ... eine Hitler-Jugend-Fahne als Auszeichnung erhalten ... weil schon seit dem 15. November 1935 rund 95 Prozent ihrer Schüler der HJ, dem BDM und dem Jung-BDM angehören."

Am Tag danach berichtete die Zeitung, dass auch die Westschule und die Tinsberger Schule die Kriterien erfüllt hätten. Nachdem 1933 in allen Klassenräumen Lüdenscheids Hitlerbilder anstelle von Kreuzen aufgehängt wurden, war nun die Partei- und Staatsallmacht der Nationalsozilisten im Alltagsleben der Lüdenscheider SchülerInnen zu mehr als 90 % angekommen.
Wer zu den restlichen knapp 10 % gehörte, war meistens diskriminiert:

"Lüdenscheid, 31.1.1935, Alfred Pfeiffer, Tinsberger Schule. Warum bin ich nicht im Jungvolk? Ich kann nicht in die H.J. gehen aus folgendem Grund: Mein Vater war bei der Stadt als Waschmeister beschäftigt. Im Jahre 1935 wurde mein Vater gekündigt. Ein alter Kämpfer der N.S.D.A.P. kam an meines Vater Stelle. Mein Vater war früher Mitglied der S.P.D. Ich habe es als großes Unrecht angesehen, dass man meinem Vater und uns Kindern Arbeit und Brot und auch die Wohnung nahm, und nun dafür einen erst seit einem Monat verheirateten Mann an diese Stelle zu setzen. Ich sehe noch heute das traurige und verweinte Gesicht meiner Mutter. Ich kann mich deshalb nicht entschließen, in die H.J. zu gehen, weil es als ein großes Unrecht ansehe, was man meinem Vater und Mutter angetan hat. Unterschrift 6"

Beide Eltern arbeiteten in der Wäscherei an der Honseler Straße und waren vom Bauamt der Stadt Lüdenscheid angestellt.- Natürlich durften auch jüdische Jugendliche nicht HJ-Mitglieder sein.

Mit der Pflicht für Jugendliche, Mitglied der HJ zu sein, schwand die Jugendarbeit der gesellschaftlichen Gruppen. Sozialistische Jugendliche hatten schon ab März 1933 mit Verboten zu kämpfen und die Jugendgruppen der Kirchen konnten nur noch in kleinen Kreisen zusammenkommen, um über die Bibel zu sprechen. In der Öffentlichkeit durften sie sich nicht mehr zeigen. Deshalb verkaufte die Evangelische Kirche das Evangelische Jugendheim (Friedrich-Wilhelm-Str.), das allen bürgerlichen Jugendlichen offen gestanden hatte und auch von der Stadt unterstützt wurde, 1936 an sie. Von ihr erhielt die HJ es 1937 zur Nutzung bis in die Kriegszeit.

Es gibt mehrere mündliche Überlieferungen, dass junge Leiter kirchlicher Gruppen zur Disziplinierung kurzzeitig inhaftiert wurden. Leider fehlen bis heute Belege.

3. Vierjahresplan zur Kriegsvorbereitung

1933-40 stieg die Einwohnerzahl der Stadt Lüdenscheid von 35 000 auf 40 000. Hauptgründe waren die Errichtung und Nutzung der drei Kasernen und die wachsende Rüstungsproduktion.

Die Überwindung der Arbeitslosigkeit von 30 % (1932) in drei Jahren führte dazu, dass in Lüdenscheid und Deutschland der Nationalsozialismus breite Zustimmung fand.

Ein Grund dafür, dass Lüdenscheid 1935 Garnisonsstadt wurde, war seine Lage am Rand des Rheinlands, das im Versailler Vertrag entmilitarisiert worden war. Trotzdem wurde es 1923 von Frankreich besetzt. Das hielten viele Deutsche für eine schwere Demütigung zusätzlich zu den Verlusten des Versailler Vertrags. So brachte der Einmarsch deutscher Truppen am 7. März 1936 ins Rheinland Hitler viele Sympathien in Deutschland. Ob auch Truppen aus Lüdenscheid beteiligt waren, konnte bis heute noch nicht geklärt werden. Hitler rechtfertigte die Völkerrechtsverletzung mit dem Abschluss des französisch-russischen Verteidigungsvertrags. Ihn erklärte Hitler für die Ursache, dass er das Rheinland militärisch wieder für Deutschland in Anspruch nahm.

Am 8.März fand in Deutschland der Heldengedenktag statt. Der Lüdenscheider Generalanzeiger schrieb (9.3.1936): Die NS-Gliederungen sammelten sich ...

Entschuldigung ...
Hier fehlt noch ein aussagekräftiges Foto oder Grafik. Wir sind noch auf der Suche...

 

" ... auf dem Adolf-Hitler-Platz. Formation um Formation marschierte mit ihrer Fahne an und nahm den ihr zugeteilten Platz ein. Die Standartenkapelle 131 mit dem Spielzug der SA setzte sich an die Spitze der Ausmarschgruppe, dann ging es mit klingendem Spiel zum Ehrenmal. ... Nach dem (SA-) Standartenführer (Kirchhoff) sprach Kreisleiter Pg. Borlinghaus, der in seinen Ausführungen die Größe und geschichtlich schwerwiegenden Maßnahmen des Führers, insbesondere die letzte von 7.März würdigte. Zur letzten überleitend führte er aus: Noch stehe ganz Deutschland unter dem gewaltigen Eindruck des vorausgegangenen Tage, noch schwinge in aller Herzen der Nachhall der Kundgebungen im Rheinland, das seine volle Freiheit durch den Führer wiedererhalten habe. Kraft eigenen Rechtes habe der Führer einen Vertrag zerrissen. Das sei nicht leichtfertig geschehen, sondern unter schwerwiegender Begründung, die niemand zu entkräften vermöge. Auch der Entschluss, sofort deutsche Soldaten in die bis dahin entmilitarisierte Rheinlandzone einmarschieren zu lassen, entspringe reiflicher und durchaus begründeter Überlegung. Zugleich habe der Führer seine große und stets betonte Friedensliebe erneut dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er die Welt aufforderte, Frieden zu machen oder zuzugeben, dass sie keinen Frieden wolle."

Im Sommer 1936 veranstaltete Deutschland die olympischen Spiele, die kurz vergessen ließen, wie die Spannungen durch die Politik der Nationalsozialisten in Europa wuchsen. Als Frankreich die Militärdienstzeit auf zwei Jahre verlängerte, ordnete Hitler im August sie auch für die Deutschen an. Im September legte er auf dem Reichsparteitag den wirtschaftlichen Vierjahresplan für die Autarkie (zwecks Kriegsführung) vor.

Auf ihm wurde ab 1937 aus Ärger über die Verleihung des Friedensnobelpreises 1936 an den inhaftierten und schwer misshandelten pazifistischen Journalisten Carl von Ossietzky der deutsche Nationalpreis verliehen. Kein Deutscher durfte mehr einen Nobelpreis annehmen. Pazifistisch eingestellte Menschen wurden auch in Lüdenscheid verfolgt. Das SPD-Mitglied Jakob Müller wurde wegen seines friedenspolitischen, gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen und parteilichen Aktivitäten schon 1933 von Bürgermeister Rommel aufgefordert, Lüdenscheid zu verlassen, weil er sonst die Polizei anweisen müsse, ihn zu verhaften. Jakob Müller lebte lange in Wetzlar, ohne zu seiner Familie nach Lüdenscheid kommen zu können. (Staatsarchiv Münster, Wiedergutmachungsakte) In Lüdenscheid waren immer mehr Menschen mit der Aufrüstung beschäftigt, weil die Arbeitswelt sich vom Zivilen zum Militärischen verschob.

 

 


1 Wachsmann, Nikolaus: Gefangen unter Hitler, München 2004, S. 443 ff

2 Sta Münster Arns Wieder 55004

3 s. 1: Wachsmann, Nikolaus: Gefangen unter Hitler, München 2004, S. 443 f

4 Sta Münster Arns Wieder 26455; Anklageschrift von 1938

5 Absatz und Zitat entnommen aus:
       "Deutsches historisches Museum, Berlin": http://www.dhm.de/ausstellungen/lebensstationen/ns_4.htm

6 Sta Münster Arns Wieder 55011

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